raum

c/o schocke

Aktion 1

19./20. November 2022: Jan Holger Mauss feat. Stefan Moos, "Buddy"

Zwei Werkreihen präsentierte Jan Holger Mauss bei c/o schocke. Zum einen seine Bearbeitungen historischer schwuler Pornomagazine, die er unter dem Titel "ONS" zusammenfasst. Mit einem Radiergummi entfernt Mauss in einem quasi-bildhauerischen Prozess Elemente von den bedruckten Seiten, vornehmlich die Protagonisten. Übrig bleiben eigenartig leere Landschaften oder Innenräume, bei radikaleren Eingriffen nurmehr Textfragmente oder Layout-Details auf weißem Grund.
Für die Ausstellung bei c/o hat Mauss Blätter zusammengestellt, auf denen Vorhänge eine Rolle spielen. In der Porträtmalerei und -fotografie dienen Vorhänge seit jeher dazu, den Bildraum zu strukturieren, aber auch, den Zusammenhang von Zeigen und Verbergen, um den es beim Porträt geht, zu thematisieren. Hiermit korrespondiert die installative Präsentation der Arbeiten im Fenster des Ausstellungsraums, für die Mauss Faksimiledrucke zu einer Collage gefügt hat. Der durchscheinende, an Kirchenfenster erinnernde Effekt ist gewollt - der Umstand, dass niemand hinein- oder hinaussehen kann, genauso: So wird die Schau zu einer "geschlossenen" Veranstaltung.
Als exemplarisch für das Spiel mit Enthüllen und Verbergen kann auch die Arbeit "José" betrachtet werden: Von der einstigen Fotografie eines Centerfolds hat Mauss lediglich die leuchtend-blauen Draperien links und rechts stehen lassen - viel weißer Raum also für Wünsche und Projektionen.
Bei der zweiten Werkreihe handelt es sich um das "B2B"-Projekt. Nach einem Schnittmuster der Künstlerin Eva Grubinger und aus einem von ihr entworfenen Stoff hat Mauss einen Bikini angefertigt und sich in diesem von anderen Künstler*innen porträtieren lassen. Die Arbeit "Unkulunkulu" ist ein Beitrag von Stefan Moos, dessen Konzeption wiederum auf den Roman "Die Insel des zweiten Gesichts" (1953) von Albert Vigoleis Thelen zurückgeht: Der Protagonist erfindet einen Vorhangschirm, der es ihm ermöglicht, sich im öffentlichen Raum zu bewegen und dabei doch geschützt zu sein. Auch hier wieder das Zusammenspiel von Zeigen und Verhüllen, Anwesenheit und Abwesenheit, von Moos spielerisch, pointiert und elegant in klassischem Schwarz-Weiß inszeniert.
Mit "Buddy" schließlich hat Mauss ein gleichnamiges Pornomagazin komplett bearbeitet, es als Künstlerbuch reprintet und im Rahmen der Ausstellung bei c/o schocke released. Thanks, mate!
 


 

Aktion 1

8./9. Oktober 2022: Gabriela Guimaraes, "San Marino"

"San Marino" ist der Name einer Zigarettenmarke aus Paraguay, die im Zentrum der brasilianischen Stadt Belo Horizonte von fliegenden Händlern verkauft wird. Die Händler sind überwiegend (jüngere) Männer, und dass sie geschmuggelte Ware anbieten, spricht für ihre prekäre Lebenssituation. Weil sie sich vor der Polizei in Acht nehmen müssen, haben ihre Verkaufsstände provisorischen, mobilen Charakter. Gleichwohl sind sie individuell gestaltet.
Dieses Setting interessiert die aus Belo Horizonte stammende Künstlerin Gabriela Guimaraes. Für ihre Arbeit "San Marino" hat sie Porträts im weiteren Sinne geschaffen, ohne die Händler selbst abzubilden (mit einer Ausnahme). Stattdessen zeigen ihre Fotografien die Verkaufsstände in Frontalansichten, wodurch deren skulpturaler Charakter hervorgehoben wird. Und sie kombiniert die Bilder mit Gesprächsnotizen, in denen die Befragten sich über ihre Erfahrungen mit Liebe, Begehren und Sexualität äußern. So erfahren wir etwas über das Beziehungs- und Familienleben der Händler, über Erinnerungen und Träume.
Guimaraes sagt, die Liebe sei ein Thema, "das Verbindungen zwischen allen Menschen schafft", da "wir alle etwas darüber zu erzählen haben". Während also wir Betrachter*innen uns vermittelt über Fotos und Texte an die Händler aus Belo Horizonte annähern, unternimmt die Künstlerin selbst einen anderen Schritt: Sie tritt ins Bild. Auf einer großformatigen Fotografie sehen wir Guimaraes, wie sie innig und romantisch einen jungen Mann, mutmaßlich einen der Straßenhändler, küsst. Die Fiktion, die dieses Bild feiert, scheint alles Dokumentarische, an das man sich beim Betrachten von "San Marino" halten möchte, Lügen zu strafen. Und bestätigt zugleich die Realität der dargestellten Situation: Ja, es gibt diese Welt.
 


 

Aktion 1

11./12. Juni 2022: Kyung-hwa Choi-ahoi, "Personae"

"Ich kann schnell zeichnen", sagt die koreanische Künstlerin Kyung-hwa Choi-ahoi im Hinblick auf die Arbeiten, die sie bei c/o schocke präsentierte. Es handelt sich um skizzenhafte Blätter, die Menschen in Alltagssituationen zeigen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, hier ist nicht nur mit schnellem Strich das Wesentliche festgehalten, sondern tatsächlich viele Details, die eine Situation, einen Raum lebendig werden lassen. Die Menschen tragen nicht einfach Schuhe, sondern ihre Schuhe haben bestimmte Formen. Die Verzierung einer alten Laterne macht diese identifizierbar, genauso das Etikett einer Bierflasche oder der Titel einer Zeitung. Und nicht nur die Preise auf der Tafel im Café verorten eine Situation auch historisch. Alles ist Information und als solche wert, erfasst zu werden, schnell.
Choi-ahoi beobachtet die Menschen bei alltäglichen Verrichtungen im öffentlichen Raum: Sie essen - und schlafen - auf der Straße, sie lesen in der Bibliothek, sie arbeiten auf dem Bau oder in der Bäckerei. Nichts daran ist besonders, aber weil Choi-ahoi es aufzeichnet, sehen wir hin. Und eignen uns ihren Blick an: Der ist nicht wertend, weniger nüchtern als viel mehr empathisch, die Liebe zum Detail scheint einer Liebe zur sie umgebenden Welt und ja, den Mitmenschen, geschuldet, oder umgekehrt.
Gleichberechtigt zu den Zeichnungen hat Choi-ahoi Texte gehängt. Sie erzählen von Personen aus dem näheren Umfeld der Künstlerin - Nachbarn, Freunde, Freunde von Freunden. Die Menschen bekommen hier eine Stimme, und auch die Künstlerin ist nicht mehr "nur" Beobachterin, sie ist involviert, nimmt Anteil, spricht. Es ist, als würden wir einen Schritt näher herantreten. Vorstellbar jetzt, dass auch die anonymen Personen in den Zeichnungen sich äußern, wenn wir uns ihnen zuwenden, dass auch sie eine Geschichte haben. Was vermag ein Bild, was die Sprache?
 


 

Aktion 1

23./24. April 2022: Janina Wick, "Eylbrook"

Mit "Eylbrook" stellt Janina Wick ein Fotoprojekt vor, das noch nicht abgeschlossen ist. Es handelt sich um Porträts, die im näheren Umfeld ihres Ateliers entstehen, in einem Randbezirk von Hamburg. Der Titel "Eylbrook" bezeichnet allerdings keinen realen Ort, gleichwohl ist er als Ortsname (nicht nur in Hamburg) denkbar. Und die Menschen, die wir auf den BIldern sehen? Sie sind zwar namenlos, strahlen aber eine Präsenz aus, die an ihrer "Realität" wiederum keinen Zweifel aufkommen lässt.
In ihren bisherigen Bildserien hat sich Wick dezidiert mit Heranwachsenden befasst. So etwa in "Schöneweide", einem mehrjährigen Projekt, das im gleichnamigen Berliner Stadtteil realisiert wurde. In einem Gespräch über ihre Arbeit daran erläutert Wick, ihr Anliegen sei es gewesen, "ein ganz bestimmtes Gefühl" zu vermitteln, das sie selbst aus ihrer Jugend kenne (vgl. Janina Wick, "Schöneweide", Kerber-Verlag 2019, S. 68).
Dagegen legen die neuen Bilder eine ergebnisoffene Herangehensweise seitens der Fotografin nahe. Nicht nur sind unter den Porträtierten verschiedene Generationen vertreten, vor allem zeigt sich das Dialogische, das der Porträtfotografie eigen ist, vielfältig und teils sehr direkt. Die Bewohner von "Eylbrook" sind sich darüber im Klaren, dass sie fotografiert werden, sie sind damit einverstanden, und sie zeigen etwas "von sich".
Der Fotograf Wolfgang Tillmans beschreibt die Porträtfotografie als einen "elementaren künstlerischen Akt". Und er betont gleichsam die immerwährende Berechtigung und Gültigkeit von fotografischen Porträts, wenn er sagt: "Die eigentliche Dynamik von Verletzlichkeit, Preisgeben, Verlegenheit und Ehrlichkeit ändert sich nicht - nie" (in: "Das Porträt. Fotografie als Bühne", Verlag für moderne Kunst Nürnberg 2009, S. 204).
Wer sich einmal der Kamera ausgesetzt hat, ahnt, von welcher "Dynamik" Tillmans hier spricht. Und auch Janina Wick erzählt im bereits erwähnten Gespräch von der Anstrengung, die das Porträtmachen nicht nur sie als Fotografin, sondern auch das Modell kostet. Und sie erklärt, sie habe inzwischen für sich erkannt, dass die "Fotografie ein ganz tolles Medium ist, um mit Menschen in Kontakt zu treten" (Wick, S. 70). Und die Bilder, die dabei entstehen? Sind ein Geschenk.


 

Aktion 1

14./15. August 2021: Jeannette Fabis, "Vent"

Ein wiederkehrendes Thema in den Arbeiten von Jeannette Fabis ist das Verhältnis von Innen und Außen. Im Ausstellungsraum von c/o schocke markiert scheinbar selbstverständlich - wir befinden uns in einer Wohnung - ein Fenster die Grenze zwischen diesen Bereichen. Am Fenster kommt man nicht vorbei, will man den Raum bespielen, erst recht nicht, wenn man raumspezifisch und installativ arbeitet. So ist es nur konsequent, wenn sich hier für die Betrachter*innen gleichsam die Königsposition befindet. Schaue ich, das Fenster im Rücken, in den Raum hinein, offenbart sich das Konzept, die Ausgangsidee, eine Pointe der minimalistisch anmutenden Installation "Vent".
Das französische "vent" bedeutet Wind, das englische "vent" bezeichnet u.a. Lüftungsschlitze. An eben solche Lüftungsschlitze erinnert auch die Lamellenstruktur, die hier wiederkehrend die kleinen, weißen, flachen Boxen kennzeichnet, Fabis selbst spricht von "Modellen". Ausgangsmaterial für die sechs identischen, von der Künstlerin handgefertigten Modelle ist jeweils eine Konfektschachtel aus Pappe, die mit weißem Buchbinderkarton ummantelt ist. Die beweglichen Lamellen sind aus demselben Karton geschnitten, die Rückwand ist mit tiefschwarzem Silhouettepapier ausgekleidet. Unsichtbar an der Wand fixiert, scheinen die Boxen zu schweben.
Ihr minimalistischer und serieller Charakter wird betont durch die gleichmäßige Hängung an der langen Wand - ihre Kraft beziehen die Modelle aus dem Kontrast von Schwarz und Weiß und also dem Spiel mit Innen und Außen. Die jeweils unterschiedlich weit geöffneten Lamellen geben den Blick mehr oder weniger frei nach innen, wobei das matte Schwarz der Rückwand ihn ins Leere bzw. eine nicht auszumachende Tiefe gehen lässt.
"What you see, is what you see", Frank Stellas Diktum von 1964 lässt sich auf Fabis' Arbeit anwenden - und scheint zugleich variiert: What you see, is what you want to see. Die Möglichkeit einer illusionistischen Qualität von bildender Kunst wird auf ebenso reduzierte wie radikale Weise zur Disposition gestellt: Es gibt k/ein Geheimnis.
Entsprechend brutal geradezu die einzig geschlossene Box rechts vom Fenster: Was mache ich als Betrachter*in hier mit meinem Bedürfnis nach "Einsicht"? Ich stelle mich mit dem Rücken zum Fenster, schaue in den Raum, und siehe da: Alle von hier aus sichtbaren Modelle haben ihre Klappen zum Fenster, also zu mir hin, geöffnet. Ich spüre den Wind.


 

Aktion 1

10./11. Oktober 2020: Judith Kisner, "Mocha Dick"

Die Künstlerin Judith Kisner bewegt sich in ihrer Malerei wie auch in ihren Installationen stets zwischen Abstraktion und Erzählung. Die expressive Geste, das Figürliche, das Symbol sind gleichberechtigte Elemente ihrer Bilder; Assoziationen von Landschaft (hier: das Meer) sind ebenso zulässig und gewollt wie das Schwelgen in "bloßer" Farbe. Mit jedem Bild aufs Neue scheint Kisner die Bedingungen und Möglichkeiten von Malerei, von Bildgestaltung zu befragen, und das mit leichter Hand. In einem weiteren Schritt bindet sie sodann ihre Malerei in eine Raumgestaltung ein.
Den Bezugsrahmen der Ausstellung bei c/o schocke bildet der Romanklassiker "Moby Dick". Darin erzählt der Matrose Ismael von der Jagd Käpt'n Ahabs und seiner Mannschaft nach einem mörderischen weißen Wal, der dem Käpt'n bei einer früheren Begegnung ein Bein abgerissen hat. Die Faszination des Romans liegt nicht zuletzt darin, dass diese Jagd sowohl wahnhafte wie auch philosophische Züge trägt. In Kisners Installation begeben wir uns nun, so ein mögliches Interpretationsangebot, in den Kopf des Käpt'ns - und schauen auf den Wal.
Die aus Leinwandstoff geflochtenen Zöpfe, die uns als inszenatorisches Element begegnen, wären dann Haar, sie könnten aber auch als Seile durchgehen, erst recht, wo sie schwer sich auf dem Boden winden. Vorhangartig geben sie den Blick frei auf die Bilder. Deren Bildhaftigkeit steht allerdings durchaus zur Disposition. Handelt es sich bei dem Großformat augenscheinlich um eine Arbeit, die für sich Bestand hat, spricht Kisner diese Eigenständigkeit anderen Bildern ab, sie sind insofern keine "Arbeiten", sondern erfüllen hier nur vorübergehend eine Funktion. Daraus resultiert eine überraschende Freiheit im Umgang mit dem Material: Was hier als Bild begegnet, ist unter Umständen einem anderen Zusammenhang entnommen oder wurde objekthaft "angepasst", um in der Installation bestehen zu können (das Bild mit dem roten Zopf). Eine weitere Werkgruppe Kisners sind ihre Übermalungen, Abbildungen aus Illustrierten, die sie sich zeichnend und malend aneignet. Die hierzu zählende Arbeit, die sich als Teil der Installation findet, zeigt eine historische Darstellung eines Wals.
Eben solche Darstellungen diskutiert der Erzähler in Melvilles Walfänger-Epos wiederholt. Seine These: Der Gegenstand ihrer Jagd ist nicht bildlich darstellbar, weil man seiner nie in Gänze ansichtig wird; das erlegte Tier wiederum repräsentiert das Darzustellende auch nur unvollständig, eben weil das Leben aus ihm gewichen ist. Die Kunst also muss darin scheitern, ihren Gegenstand zu erfassen, so wie Käpt'n Ahab darin scheitert, des Wals habhaft zu werden. Ahabs Rechtfertigung, es dennoch zu versuchen, scheint in seiner wahnhaften Rachsucht zu liegen - immerhin hat der Wal ihm ein Bein abgerissen. Was aber rechtfertigt die Kunst in ihrem vergeblichen Tun? Welche Wunde soll hier geschlossen werden?
In Vorbereitung eines quasireligiösen Rituals, mit dem er seine Mannschaft auf seine Mission einschwört ("Tod dem Moby Dick"), spricht der Käpt'n ("wir müssen tiefer schürfen") von seinen eigentlichen Beweggründen. Danach repräsentiere der Wal, "dies unfassbare Ding", eben die Dingwelt, hinter die es zu gelangen gelte; einer Mauer gleich verstelle der Wal den Blick auf das Wesentliche. So erfährt die Jagd nach Moby Dick sinnstiftende Funktion. Und worum sonst könnte es in der Kunst gehen?
Vergleichsweise spielerisch hat übrigens Kisner die Ausstellungsbesucher*innen eingeschworen: Mit weißer Knetmasse galt es, einen Wal zu formen. Die kleinen Objekte wurden Teil der Installation.


 

Aktion 1

25./26. Januar 2020: Despoina Pagiota, "Softly Creased"

Den Titel der Ausstellung hat Despoina Pagiota von einem ihrer Bilder geliehen. Die 50 mal 40 cm große Arbeit "Softly Creased" zeigt eine graue, abstrakte Fläche, die an der unteren rechten Ecke beschnitten bzw. übermalt ist. Die Fläche hat eine äußerst plastische, und d.h. räumliche Anmutung, hervorgerufen durch einen überzeugend ausgeführten "Trick": Es handelt sich um Papier, das Pagiota zerknüllt, im zerknüllten Zustand mit Farbe besprüht, schließlich wieder geglättet und auf Leinwand aufgebracht hat. Die Plastizität entsteht durch "Schattierungen" entlang der Knicke des vordem geknüllten Papiers.
Der Titel "Softly Creased" weist zunächst auf eine mögliche Zustandsform des Werkstoffs Papier hin. Als Material ist Papier unendlich vielseitig, es verzeiht (vergisst) aber auch nichts, insofern Spuren seiner Bearbeitung nicht revidierbar sind. Das Eselsohr, der Riss, die verletzte Oberfläche bleiben und mindern den Wert des unbeschriebenen Blatts - oder verleihen ihm Geschichte und Charakter.
Für Pagiota ist Papier als Malgrund sozusagen erste Wahl, erst seit einiger Zeit bringt sie das bemalte/besprühte Papier auf Leinwand auf. Die Leinwand ist Träger, fügt aber zugleich dem Bild eine weitere Ebene hinzu. Und das Papier wird zum Material. Handelte es sich zunächst um Malerei auf Papier, entstehen jetzt Collagen. Pagiota faltet, knüllt, reißt und schneidet das besprühte Papier und spielt auf der aufgespannten Leinwand abstrakte Bildräume durch. Inspiration hierfür bezieht sie nicht zuletzt aus dem urbanen öffentlichen Raum, der Straße und der Art, wie hier mit Farbe und Fläche umgegangen wird, an Hauswänden etwa. Das Tag, das Graffito, die Decollage: Im Zeichenhaften, manchmal Gestischen, dann wieder Wohlüberlegten ihrer Bildsprache finden sich so Anklänge von Zeitgenossenschaft.
Auch die Entscheidung, die Farbe primär zu sprühen und nicht mit dem Pinsel aufzutragen, mag hier ihre Quelle haben. Im Gespräch sagt Pagiota, sie empfände das Sprühen als brutaler als die Arbeit mit dem Pinsel. Das überrascht, wird doch das Papier nicht direkt angegangen. Und doch: Gleichsam aus dem Nichts hinterlässt der Farbnebel seine Spur.


 

Aktion 1

7./8. Dezember 2019: Hayato Mizutani, "Das fünfte Jahr"

Der japanische Künstler Hayato Mizutani verbindet in seiner Arbeit einen konzeptuellen Ansatz mit individueller Erfahrung, um ebenso sinnliche wie formal reduzierte Werke zu schaffen. So meint der Titel der Arbeit "Das fünfte Jahr" tatsächlich das fünfte Jahr, das der Künstler in Deutschland verbracht hat. An jedem Tag des Jahres hat Mizutani ein deutsches Wort, das ihm aufgefallen oder neu oder besonders relevant war, notiert und mit einer eigenen Erklärung versehen, beginnend am 12. November 2018 mit "stoßen": "Wenn ich neue Wörter lerne, stoße ich an die Grenzen in meinem Kopf. Dadurch kann ich die Welt besser verstehen." Jeder Tag eine Seite, nach Monaten geordnet und benannt, sind 13 Bücher entstanden, in graues Leinen gebunden, verstaut in einem Schuber.
Vermittelt durch die Erklärungen oder Beispielsätze erfahren wir etwas über die Lebensumstände des Autors (Umzug von einer Stadt in eine andere, Arbeit als Architekt, Sorgen um die Aufenthaltsgenehmigung etc.), aber auch über die politische Situation in Deutschland und der Welt. Wiederkehrende Themen sind zwischenmenschliche Beziehungen, das Fremdsein bzw. In-der-Fremde-Sein, die aktuellen Fluchtbewegungen auf der Welt. So erklärt (uns) Mizutani das Wort "Zaun" nicht etwa am Beispiel eines Gartenzauns, sondern anhand des Zauns, der sich zwischen Mexiko und den USA befindet. Für das Wort "Erleichterung" dient zur Erläuterung eine Beobachtung, wonach ältere Menschen in Deutschland mit Erleichterung reagierten, wenn sie feststellen, dass Mizutani Deutsch spricht. Das Wort "Servus" wiederum bedarf auch für den Neu-Münchener letztlich keiner Erklärung (Gott sei Dank, möchte man fast sagen): Servus = "Servus!"
Jedes Wort, in einen Gedanken oder auch nur einen bloßen Beispielsatz gefasst, vermag einen assoziativen, intellektuellen und nicht zuletzt emotionalen Raum zu eröffnen. Das ist eine Erkenntnis, die sich bei der Lektüre von "Das fünfte Jahr" als Erfahrung einstellt. Bei c/o schocke präsentiert Hayato Mizutani diese Arbeit in Form einer Installation. Auf 13 an den Wänden angebrachten schmalen Borden liegen chronologisch angeordnet die 13 Bücher. Als Besucher*in bin ich eingeladen, einen poetischen Raum zu betreten.


 

Aktion 1

2./3. November 2019, Guest Room: Gallery ONKAF, "The Cadence of Free Fall"

Während der India Week in Hamburg war die Galerie ONKAF aus Delhi zu Gast bei c/o schocke. Sumita Chauhan präsentierte fünf Künstler*innen ihrer Galerie: Nidhi Agarwal, Jayita Barai, Tehmeena Firdos, Prasanta Kalita und Snigdha Tiwari. Unter dem Titel "The Cadence of Free Fall" waren damit sehr unterschiedliche Positionen vertreten: Nidhi Agarwal zeigte mit "The Masked Empire" eine Reihe von farbstarken Zeichnungen, die an die Bildsprache des Surrealismus wie auch an zeitgenössische Comics denken lassen. Jayita Barai reagierte auf die Idee vom "free fall" mit intimen kleinformatigen Blasen- oder Tropfenbildern. Tehmeena Firdos denkt in ihren poetischen Aquarellen über das Leben einer jungen Muslimin im heutigen Indien nach. Prasanta Kalitas abstrakte Mixed-Media-Collagen sind jede für sich eine sensible Studie über Form, Farbe und Material. Und das Masterpiece von Snigdha Tiwars Textilarbeiten war sicher der in der Küche installierte "Tree that Never Grew", der in seiner wesenhaften Präsenz bei aller Melancholie etwas Tröstliches auszustrahlen vermochte.

 

Sumita Chauhan zum Konzept ihrer Ausstellung "The Cadence of Free Fall":

The age of the anthropocene has been ushered in with the unrelinquished advancements of technology and industry. The relentless pursuit of happiness by the human species has led a unique phase of our evolution whereby we are constantly looking at ourselves from the far away lenses. The human race is obsessed with themselves. The gaze seems to be engaged in a never ending free fall from top-below. In such a free fall of this self-directed gaze is a certain cadence, a certain rhythm that gets shifted through the layers of both abstraction and figuration, patterns of narratives, languages to symbols. It is this closing by of our perspective, where the free fall ends and when one comes face to face with the gesticulating and living world.


 

Aktion 1

28./29. September 2019: Dirk Springmann, "Waiting for the Miracle"

Irgendwo an der Wand ein zerknittertes A4-Blatt mit der Abbildung eines Diagramms in Pyramidenform. Begriffe wie "Measurement", "Information" und "Wisdom" bezeichnen die verschiedenen Schichten der Pyramide, wobei "Wisdom" zuoberst steht. DIe Abbildung ist ein Fundstück aus dem Netz. Was wird beschrieben? Der Optimierungsplan für ein Individuum, eine Gesellschaft? Ob Weisheit anzustreben oder ohnehin Teil eines Ganzen ist, ist nicht zu entscheiden, genauso wenig, ob das Papier absichtlich oder versehentlich zerknickt wurde.
Dirk Springmann weiß die Möglichkeiten seines "armen" Materials zu nutzen. Die Umkartons, aus denen vieles gefertigt ist, was uns im Raum begegnet, sind belassen wie vorgefunden, gerissen oder kunstfertig zu neuen Formen montiert. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie konsequent einer als männlich konnotierten Konsumwelt entnommen. Ihre Beschriftungen geben Rätsel auf oder laden zum Schmunzeln ein, die Farben sind sensibel zueinander ins Verhältnis gesetzt. Schnell wird klar: Alles hier ist Information (das ist so in der Kunst und im Leben), es bleibt lediglich, die Information zu gewichten (das ist so im Leben und in der Kunst).
Das scheinbar Unfertige der Installation (die Versatzstücke auf dem Boden, die an die Wand gelehnten Elemente, nicht zuletzt die nicht zu Ende gebaute, zentrale Pyramide) vermittelt den Eindruck einer offenen Struktur - oder einer unterbrochenen Arbeit? Als eine Art manisches Universum erzählt die Installation von dem unbedingten Willen, aus allem etwas zu machen, Sinn zu erzeugen. Einzig ein Wunder - so legt es der Titel der Arbeit nahe - könnte einen von diesem Tun erlösen. Oder eine Depression? Aber wer möchte schon depressiv sein, wenn man stattdessen ein prima Computer-Game spielen oder sich mit der VR-Brille amüsieren kann?
Und während man als Besucher*in bemüht ist, möglichst weit in den Raum vorzudringen und dabei die Balance zu halten, ohne auf etwas zu treten oder gegen etwas zu stoßen, beschleicht einen der Verdacht, dass nicht die Kunst hier metaphorisch etwas zeigt, weil sie es besser weiß, sondern dass sie sozusagen auch nicht anders kann. Als wir alle.


 

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13./14. April 2019: Lars F. Herzog, "Scaffold"

Für eine Reihe neuer Zeichnungen hat Lars F. Herzog die Idee vom Gerüst (engl. scaffold) an den Anfang gestellt: das Gerüst, von dem aus die Arbeit beginnen kann. In der Pädagogik bezeichnet Scaffolding eine lerntheoretische Methode, wonach Lernenden die nötigen Hilfsmittel bereitgestellt werden, damit sie eigenständig und schließlich ohne "Gerüst" Aufgaben lösen können - es wird wieder abgebaut, so wie ein Baugerüst nach getaner Arbeit. Anders bei Herzog, wo das Gerüst Teil der Zeichnung bleibt. Auch wird es mitunter erst am Ende aufgestellt. Als brächte das Gebäude sein Gerüst hervor und nicht umgekehrt.
Mit dem Laser setzt Herzog Linien, lineare Gebilde aufs Blatt, zu denen sich dann die Kohlezeichnung verhalten kann. Die Kohlezeichnung ist von der Fläche her entwickelt, ausgehend von tiefem Schwarz maskiert Herzog Teilflächen und nimmt weg, hellt auf. So entstehen Raumkörper, eigentlich der Anschein von solchen, denn die Linienführung geht nicht auf, Seitenflächen finden nicht zueinander.
Auf anderen Blättern beginnt Herzog mit der Kohlezeichnung und setzt das "Gerüst" erst im Nachhinein. Die maschinell-exakten Linien bleiben dann goldbraun in schwarz stehen - der goldbraune Ton rührt von der beim Lasern auf das Papier einwirkenden Hitze her -, während im umgekehrten Fall der Kohlestaub die gefräste Linie im wahrsten Sinne füllt.
Motivisch orientieren sich die Arbeiten mehr oder weniger dicht am Thema Landschaft, das verdeutlichen auch Titel wie "Mountainlake", "Mountainscape" etc. Wobei ein Eindruck von "Landschaft" sich nur allzu leicht einstellt, weil sich als Architektur assoziierte Gebilde zu naturnah anmutenden Flächen auf dem Blatt "räumlich" verhalten. Es ist, als könnten wir nicht umhin, Landschaften zu sehen, wo der Künstler sich erlaubt, unser derart geschultes Auge zu bedienen.
Bleibt zu nennen das Spiel mit Material und Erwartung. Details. Die bereits erwähnten Raumkörper, die sich der Geometrie verweigern. Die Arbeitsspuren, die als "Schmutz" stehenbleiben. Die mal glatten, mal ausgefransten Kanten. Das Gerüst, dessen es (nicht) von vornherein bedarf. Das Gold des Gerüsts.


 

Aktion 1

26./27. Januar 2019: Tim Ehrich, "B-Seite"

"Räume und Fenster" lautet der Titel eines Portfolios von Tim Ehrich aus dem letzten Jahr (als Download auf seiner Website zu sehen). Damit ist thematisch benannt, worum es in seiner Malerei und auch in der Ausstellung bei c/o schocke immer wieder geht: Innenräume, Aussschnitte aus solchen, Raumecken; dann Außenräume; schließlich Fenster als durchlässige, vermittelnde Grenze zwischen den Räumen. Die Fenster lassen Licht passieren oder aber den Blick. In dem genannten Portfolio flankieren eigene Texte die (meist fotografischen) Abbildungen. Das sind zu Gedichten oder kurzen Prosastücken geronnene Beobachtungen, nüchtern, subjektiv, empfindsam. "Der Betrachter betrachtet den Raum", heißt es einmal; an anderer Stelle: "Ich kenne diesen Raum schon immer, doch ist er immer an einem anderen Ort." Die Rede ist von einem "Gefühl, in einem zeitlich anders gelegenen Raum zu sein", eine "Abkürzung von einem Raum in einen anderen" wird vorgestellt. Aber es findet sich nichts: "Oben nichts, unten nichts..." So entsteht der Eindruck einer gleitenden Bewegung, einer Suche, die durch Momente des Innehaltens strukturiert ist. Der Blick aber geht gleichermaßen nach außen wie nach innen.
Und was könnte gefunden werden?
Sozusagen am Rand der Ausstellung bei c/o, im Flur, hat Ehrich das kleinformatige Bild "same procedure" gehängt, es zeigt einen Schneemann. Weiß, wie es sich gehört, steht die Figur etwas nach rechts aus der Bildmitte gerückt im unmittelbaren Vordergrund. Der Hintergrund staffelt sich in drei verschiedenen, kräftig farbigen Flächen, grün, blau und grau. Vor allem dadurch sehen wir den Schneemann. Die Figur begegnet als Auslassung, der Raum macht einen Bogen. Der Betrachter aber darf sich fragen: Bin ich der abwesende Schneemann? Die Leerstelle, um die herum der Raum sich organisiert?


 

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17./18. November 2018: Silke Silkeborg, "All zu fern"

Im Frühjahr 2018 ergatterte Silke Silkeborg am Rande der Marathon-Feierlichkeiten in Hamburg einen sehr langen, sehr roten Teppichrest, den sie als potenzielles Material erkannte und auf den Gepäckträger ihres Fahrrades schnallte, um ihre Fahrt kreuz und quer durch die Stadt fortzusetzen. Nicht ohne, erstens, einen Zwischenstopp bei c/o schocke zu einer hier gerade stattfindenden Vernissage zu machen und zweitens den Teppich auf der nächtlichen Fahrt mehrfach zu verlieren, bis er sich schließlich kurz vor Wilhelmsburg auf einer Brücke im Freihafen komplett entrollte. Der rote Teppich, die finstere Nacht, das kalte Licht des Hafens - Silkeborg, die schon lange die Nacht zu ihrem Sujet gemacht hatte, war begeistert. Sie schrieb diese Begebenheit auf und druckte sie, anlässlich ihrer Ausstellung bei c/o, per Siebdruck auf Sitzkissen, Teil einer Rauminszenierung, im Rahmen derer sie neue Arbeiten präsentierte.
Gezeigt wurden neben zwei Ölmalereien sogenannte Kratzzeichnungen, die auf nächtlichen Luftaufnahmen städtischer Landschaften basieren. Silkeborg grundiert einen Karton mit (weißem, besonders lichtechtem!) Schwerspat, überdeckt diesen mit mehreren Schichten schwarzer Tinte. In die so vorbereitete Fläche kratzt sie mit Radiernadel, schmalen Klingen und einiger Kraft die Zeichnung, also: Licht.
Ihre Faszination beziehen die Tafelbilder zum einen aus ihrer Materialität: die vom Pinselstrich der Grundierung herrührende ungleichmäßig-streifige Struktur, die haptisch-visuell nachvollziehbaren Kratzspuren, das leuchtende Schwarz-Weiß. Und dann aus dem ihnen innewohnenden Spiel mit Realismus und Abstraktion: Nicht nur lässt Silkeborg manches weg und verlegt durchaus mal eine scheinbar wiedererkennbare Straße, wenn es dem Bild zuträglich ist. In ihrer Reduktion (aufs Wesentliche) fordern die Arbeiten dazu auf, die Frage nach dem Was zu verlassen und das bloße Bild, die bloße Zeichnung zu sehen. Als träte man von der erleuchteten Straße ins dunkle Feld.


 

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8./9. September 2018: Daniil Galkin, "Glasshouse Conditions"

Für seine Installation "Glasshouse Conditions" hat der ukrainische Künstler Daniil Galkin den Boden des Ausstellungsraums mit einer geschlossenen, etwa zehn Zentimeter dicken Schicht Erde bedeckt. Allein dieser Eingriff ist in seiner Wirkung beträchtlich: Die Erde, von draußen (aus dem Park) in den Innenraum, die private Wohnung geholt, weckt als nun fremdes Element überraschend unangenehme Assoziationen und Gefühle. Der (nicht zu betretende) Raum erscheint nicht länger als dem Rest der Wohnung zugehörig, eine denkbare Öffnung nach außen findet trotz des Materialtransfers allerdings auch nicht statt, vielmehr behauptet sich der Raum als eigenes Biotop. Was in diesem "Glasshouse" gedeiht, wird in einem an der Wand angebrachten Notizbuch des Künstlers annonciert: Ein nicht näher bezeichnetes Foto, im Netz gefunden, zeigt eine gewaltvolle Szene, mehrere Männer mit gefesselten Händen, über den Kopf eine Plastiktüte gezogen. Ein weiteres, von Galkin als Skizze erstelltes Foto entwirft eben die Situation, die wir im Ausstellungsraum vorfinden: Unter weißen Plastiktüten verborgene Objekte (Pflanzen, Schädel?) "sprießen" aus der Erde.
Galkins Selbstverständnis ist das eines politischen Künstlers. Er untersucht in seinen Arbeiten vor allem Fragen zum Verhältnis von staatlicher Kontrolle und individueller Freiheit. "Glasshouse Conditions" widmet sich dem allenthalben zu beobachtenden Wiedererstarken nationalistischer Strömungen, deren Protagonisten den Staat als ein sich nach außen verschließendes, das Andere ausschließendes "Biotop" fordern. Als Gegenbild zur offenen werden in der also geschlossenen Gesellschaft "die anderen" bekämpft und schließlich vernichtet. Das Gewächshaus, in das die Installation einen Blick gewährt, ist das des Faschismus. Und die Frage, die sich stellt, ist die nach den Bedingungen ("conditions") seines Wachstums.
 


 

Aktion 1

30. Juni/1. Juli 2018: Jennifer Bennett, "Directing All Directions"

Die Künstlerin Jennifer Bennett beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Welche Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten hat der Einzelne? Wie stabil sind "die Verhältnisse"? Und welche Rolle spielt (kann spielen) die Kunst, sie selbst als Künstlerin?
Seit einiger Zeit entwickelt Bennett unter dem Titel "Steht auf allen Seiten" eine Serie kleinformatiger Skulpturen, und wie sich zeigt, scheut sie sich dabei nicht, als virulent identifizierte Probleme spielerisch anzugehen, um ihnen eine (metaphorisch) gültige Form zu geben. Unbedingt notwendige Eigenschaft jeder der Figuren ist es, dass sie auf vielen Seiten stehen kann. Ich kann (und darf) sie drehen und wenden, wie ich will, sie hält die Balance. Ein Grundproblem des plastischen Arbeitens löst die Künstlerin damit ganz nebenbei für jede einzelne Skulptur in vielfacher Weise. Gleichzeitig hat eine solche Skulptur keine ein für allemal festgeschriebene Position mehr. Hat man das als Betrachter einmal verstanden, will es notwendig mitgesehen werden. Die Titel der Skulpturen verweisen zum Teil auf das gesellschaftspolitische Interesse Bennetts. So impliziert der Titel "Regent" das Thema Macht; nicht von ungefähr erinnern die "Füße" der Figur an Kronen, und der "Leib", obgleich nur ein in sich bewegtes, auf die Spitze gestelltes Quadrat, lässt an einen Königsmantel denken. Das einer Brezel ähnliche Motiv wiederum, das zwei weitere der gezeigten Arbeiten kennzeichnet, hat Bennett auf Reisen in den verschiedensten Ländern als Element in schmiedeeisernen Zäunen vorgefunden. Und so nimmt sie es als "Urform Sicherheit".
In ihrer wesenhaften Präsenz kann man die Skulpturen durchaus als Protagonisten wahrnehmen. Das gilt weniger für die zweite in der Ausstellung präsentierte Werkgruppe, Fotografien von Empfängerantennen. Obwohl die Arbeiten formal an Porträts erinnern, steht jede von ihnen vor allem für das Kommunikationsfeld, das die gezeigten Anlagen bereithalten. Bennett hat sie als Architekturen, als Landschaftselemente tatsächlich im Vorbeifahren gesammelt, daher die Unschärfe der Fotos. "Empfänger Antennen forever connected" nennt sie die Reihe, das klingt nach Versprechen und Bedrohung gleichermaßen: Es gibt kein Außerhalb (mehr).


 

Aktion 1

28./29. April 2018: Daniel Jasser, "Mono"

Daniel Jasser verhandelt in seinen neueren Arbeiten Fragen nach Flüchtigkeit und Dauer, indem er Freskomalerei, eine Technik, die auf Beständigkeit ausgerichtet ist, nur kurzfristig einsetzt. Gleichzeitig schafft er mit demselben Material auch bleibende Bildobjekte, denen von vornherein etwas Fragmentarisches eignet. Für die Ausstellung "Mono" bei c/o schocke hat Jasser eine Wandarbeit gefertigt, die inzwischen wieder zerstört ist, außerdem vier Bildobjekte. Die Wandarbeit befand sich an der "fünften Wand" des Ausstellungsraums, die eine Ecke abschneidet und für sich genommen ein extremes Hochformat darstellt. Als Betrachter kann man zu dieser Wand den größten Abstand nehmen, alles, was hier passiert, hat somit für den Raum besondere Relevanz. Jasser hat auf die gesamte Wand warmtonigen Lehmputz aufgetragen und mit Wasserfarben (schwarz und weiß) auf den noch feuchten Putz gemalt. Wenige gegeneinander gestellte Farbfelder lassen den Bildeindruck zwichen Flächigkeit und Räumlichkeit changieren. Ein Effekt, der nicht zuletzt durch die bewusst unexakten, weichen Ränder der einzelnen Farbfelder entsteht. Das Bild scheint einerseits den Raum zu öffnen, gleichzeitig droht es gleichsam auf den Betrachter zu fallen. Assoziationen von Landschaft und Architektur sind naheliegend und gewollt, Jasser bewegt sich mit seiner Malerei in eben diesem thematischen Kontext. Und die Verwendung von Lehmputz und das raumbezogene Arbeiten machen diesen Kontext noch einmal grundlegender virulent. Dass die Wandarbeit deutlich Bildcharakter hat, liegt auch daran, dass Jasser sich auf die klar abgegrenzte eine Wand beschränkt hat, die Malerei greift die Gegebenheiten des Raums affirmativ auf.
Im Hinblick auf die Wandarbeit sind vier Bildobjekte entstanden. Als Bildträger fungiert Porenstein, ein industriell gefertigtes Baumaterial, das mit dem organisch und naturnah wirkenden Lehmputz eine widerstrebende Verbindung eingeht. Die Farbigkeit der "Bilder" korrespondiert mit der Wandarbeit, und weil der Lehmputz hier nicht vollflächig, sondern ausschnitthaft geformt aufgebracht ist, lässt sich das Material bestens studieren, die Stärke, die Risse und Bruchkanten. Die Herkunft der Formen aber ist nicht zu entschlüsseln, gleichwohl suggerieren sie, dass sie einem bestimmten Kontext entnommen sind und dass sie untereinander in Zusammenhang stehen. Als führte uns Jasser in die archäologische Abteilung eines Museums, nachdem er sämtliche Beschriftungen entfernt hat. Hier wurde jedoch nichts ausgegraben und vor dem Verfall gerettet. Es sind Fragmente, die nie etwas anderes sein sollten.
Den Titel der Ausstellung hat Daniel Jasser übrigens vom Charakter des Raumes hergeleitet, wie er sagt. Offenbar hat der Raum wegen seiner geringen Größe etwas Monohaftes. "Mono... (allein...)" heißt es im Duden. Die Kammer, die nur einen allein beherbergen kann... (Oder auch: die Kammer, die allein ist.)


 

Aktion 1

20./21. Januar 2018: Ingo Müller, "Perle"

Vielleicht, weil er sich vorher über Jahre mit abstrakter Malerei beschäftigt hat, sind Ingo Müllers Zeichnungen von der Fläche her gedacht und gearbeitet. Problem: Wie gestaltet man mit dem Bleistift eine Fläche so, dass sie überzeugt? Müller setzt zunächst in der Art eines Passepartouts einen Rahmen und arbeitet dann mit gleichmäßigen Schraffuren. Seine Flächen verebben nicht, sondern füllen den Bildraum aus. In einem weiteren Schritt bearbeitet er gegebenenfalls die Fläche mit dem Radiergummi, setzt also zum Beispiel Lichter, indem er vorher Gezeichnetes wieder wegnimmt. So wird das Blatt lebendig.
Die Motive sind reale Orte in Hamburg. (Daher auch der Titel der Ausstellung, "Perle", wie in "Hamburg, meine Perle" von Lotto King Karl.) Die Ansichten sind perspektivisch so gewählt und auf dem Blatt so geklärt und aufgeräumt, dass Gebäuden oder auch Bäumen skulpturale Wirkung zukommt. Und die Leere, die sich um die Dinge herum auftut, erinnert mitunter an de Chiricos metaphysische Räume. Gleichzeitig scheint Humor auf, etwa wenn Müller eine Straßenlaterne in der Hafencity zum Sujet macht, das fertige Blatt fotokopiert und überarbeitet, sodass auf dem zweiten Blatt dieselbe Lampe im für Hamburg nicht untypischen Hochwasser quasi absäuft.
Im direkten Vergleich der beiden Arbeiten wird sodann deutlich, dass jede Zeichnung das Ergebnis formaler Entscheidungen ist: Der Lichtkegel, den die Lampe wirft, ist im einen Fall eine klar begrenzte Fläche, im anderen Fall geht er eine diffuse Verbindung mit dem Umfeld ein. Oder die offenkundige Dramatik, die der Blick aus dem U-Bahn-Aufgang ins Licht bereithält ("Aufstieg Hafencity"): Sie ist der konsequent geometrischen Aufteilung des Bildraums zu verdanken. Und die bloße geometrische Form, als die das Silo oben rechts im Bild das Idyll der großformatigen Landschaft vermeintlich stört ("Silo Wilhelmsburg")? Gibt dem ganzen Unterfangen, das die Zeichnung ist, überhaupt erst Sinn.


 

Aktion 1

7./8. Oktober 2017: Linhan Yu, "beiläufig"

Linhan Yu interessiert sich in seiner Arbeit für die Risse im je eigenen In-der-Welt-sein, wie sie in unterschiedlichen Erfahrungen von Desorientierung und Kontrollverlust offenbar werden. Bei c/o schocke stellte er drei Werkgruppen vor: Die Zeichnung "Beunruhigung" rekurriert auf das Thema Krankheit als Ausgeliefertsein; die Arbeiten "o.T." und "Über Irrsinn" gehen auf eine spezifische Erfahrung von Landschaft zurück, nämlich dem Wald als Raum, in dem Orientierung und Desorientierung, Ordnung und Unordnung dicht beieinander zu liegen scheinen; und die Arbeiten "Endlosigkeit 3" und "Beiläufigkeit 1-4" schließlich nehmen ihren Ausgang im Phänomen der "mouches volantes" ...
Wenn man den Blick gegen das Licht wendet und sozusagen von innen heraus schaut und sich eher auf die Oberfläche der Augäpfel konzentriert als auf die Umwelt, dann kann man sie bemerken, die "mouches volantes", kleine Flecken oder Fussel, die unkontrolliert durchs Bild huschen, wie fliegende Fliegen eben. Sind sie immer da?
Für Linhan Yu bietet ihr Vorkommnis Gelegenheit, über unsere Wahrnehmung nachzudenken und über das Erzeugen von Bildern. Zum einen scheint hier etwas zu passieren, was sich unserer Kontrolle entzieht, und das ist mindestens interessant. Zum anderen verweist, was als Störung begegnet, auf den Normalfall. Normal scheint ein bereinigtes Bild - wenn wir schauen, wenn wir Bilder machen. Also lädt Yu den Zufall und den Schmutz ein, am Prozess der Bilderzeugung teilzunehmen. Zunächst hält er die unausgesetzten, unkontrollierten Bewegungen der mouches volantes in kleinformatigen Radierungen fest. Aus den Radierungen erstellt er sodann großformatige Siebdruckvorlagen oder Vorlagen für Risografien. Solche Übertragungen vom einen Medium ins andere, den Wechsel des Formats (und Ausschnitts), mag man als Grade der Abstraktion verstehen. In jedem Fall bieten sie Yu die Möglichkeit, seine Sujets formaler zu behandeln: Die Ausgangserfahrung tritt in den Hintergrund, was zählt, ist, wie am Ende die Farbe aufs Papier, die Leinwand kommt. Das Sieb, das nicht "richtig" fixiert ist und beim Drucken leicht verrutscht, die Ränder, die "aus Versehen" mitgedruckt werden, das sind Fehler, die Yu gezielt zulässt. Ähnlich arbeitet ihm der Risograf entgegen, weil jeder Druck der Maschine leicht variiert. Obwohl Druckerzeugnisse, sind die fertigen Bilder schließlich Unikate. Vor allem aber sind sie geeignet, das immerfort sich abspielende, nicht kontrollierbare "Leben" für einen Moment, den Moment der Betrachtung, stillzustellen. 


 

Aktion 1

24./25. Juni 2017: Tan Bartnitzki, "Golden Age"

Als Tan Bartnitzki das erste Mal Bilder vom Ausstellungsraum c/o schocke sah, musste sie unwillkürlich an Interieurs, an holländische Genremalerei des 17. Jahrhunderts denken. Da blickt man in bürgerliche Haushalte, Zimmer, in denen Personen sich moralisch oder auch nicht verhalten. Der Fußboden oftmals in schwarz-weißem Karo gefliest, an den Wänden Malerei, wie man sich das als begüterter Bürger eines prosperierenden Landes gern leistete. Und so gestaltete Bartnitzki bei c/o einen Raum, der sowohl eine Art Besinnungskammer wie auch Mädchenzimmer sein könnte. Zur Besinnung mag man sich etwa auf den schwarz bestrumpften Hocker setzen ("Sit down and give a fake smile"), die Füße im Fußsack versenken und sich dem Stoffbild mit den geklebten (nicht: gestickten) Geboten widmen: "Stehe früher auf". Gleich daneben goldene Schallplatten, darunter ein Album von den Goldenen Zitronen - andere Zeit. Dann ein Stillleben vor dem Fenster, das zugleich Deko-Exzesse aus Jugendjahren zu zitieren scheint wie auch Vanitasmotive... Wo sind sie hin, die Jahre?! Und die goldenen Sneaker hinter Glas? Sind nicht nur goldfarben und "passen" daher ins Konzept, es sind natürlich Schuhe der Künstlerin, viel getragen, Erinnerungsstücke. Das Bilderkabinett ist auch ein Selbstporträt, scheint es. Und tatsächlich sehen wir Bartnitzki auf zwei Fotoarbeiten, als Marktfrau am Gemüsestand ("spirit vegetable trading"). Mit großem Ernst bietet sie farblich fragwürdige Kürbisse feil. Ist es nur ein Spiel? Man soll und soll nicht: alles für bare Münze nehmen.
Der Witz der Installation entspringt der Fülle des Materials (unnötig zu sagen, dass das goldene Zeitalter eine Ära größter Produktivität war), liegt zugleich in der Liebe zum Detail. Warum wurde ein übergroßer gestrickter Hausschuh auf ein goldenes Skateboard geschnallt? Und wie sähe diese Kammer, die ich ein Mädchenzimmer genannt habe, eigentlich als Jungenzimmer aus? Bartnitzki nimmt derweil Vermeers berühmtes Mädchenbildnis zur Vorlage und probiert mal eine "Farbige Frau mit Perlohrring". Sieh's mal so, sieh's mal anders... Und hängt in die Küche ein "bipolares Mobile", das unsere herkömmlichen Begriffe und Kategorien zum Tanzen bringt.


 

Aktion 1

28./29. Januar 2017: Wolfgang Müller-Wichards, "Ödnis"

Ausgangsidee für die Ausstellung waren Zeichnungen, die Wolfgang Müller-Wichards (WMW) in den letzten Jahren von städtischen Orten, Gebäuden gemacht hatte, und die er gegebenenfalls als Kulisse für etwaige Comics verwenden wollte. Stattdessen behaupten die Zeichnungen jetzt ihre Eigenständigkeit. Orte für mögliche Handlungen, das ist ein aus der Fotografie bekanntes Sujet: die Stadt als Bühne (der Betrachter als Akteur). Und weil zu zeichnen Zeit braucht (und Genauigkeit), der Zeichner sich also widmet, ist es dazu angetan, Schönheit im Verborgenen, Abseitigen zu entdecken. Gleichzeitig ist das Zeichnen von vornherein Interpretation: Nicht vorstellbar, alles zu zeichnen, muss ich immer etwas weglassen, und sei es die Farbe. (Oder die Bewegung: Es gibt eine Reihe sehr schöner Zeichnungen, in denen WMW versucht hat, die stetige Bewegung in Baumkronen festzuhalten.) Die gelungene, die schöne Zeichnung besteht eigenständig neben dem Objekt, von dessen Betrachtung sie ihren Ausgang nahm. Zeichnen also. Mit dem Auge den Linien des Objekts folgen. Die Linien übertragen aufs Papier, nachvollziehen. Beim Betrachten der Zeichnung erkennen wir sodann etwas wieder. Sie korrespondiert mit unseren Erinnerungen - an ein Gebäude, einen Ort, ein Gefühl. Eine Zeichnung verstehen heißt nicht, wissen, was sie zeigt. Eine Zeichnung betrachten: sich darin verlieren.
Bevor das hier aber zu gewichtig und ernst gerät: WMW hat bei c/o noch eine andere Gruppe von Zeichnungen gehängt, von Blesshühnern. Vögel, die nach seinem Dafürhalten in der Kunst wenig Beachtung finden, vielleicht, weil sie (oder weswegen sie) wenig charakteristisch, symbolisch unbestimmt sind. Aber sie scheinen charmant und witzig, sie haben interessante Füße. Und eine Blesse, deren Weiß man zeigen kann, indem man es weglässt.


 

Aktion 1

12./13. November 2016: Jennyfer Haddad & Benjamin Niznik, "DM Room"

Der Titel der Installation bezieht sich auf den über Instagram verfügbaren Kommunikationsweg "Direct Messaging". "Direct" meint, der Austausch von Nachrichten und Bildern geschieht sozusagen unter vier Augen. Weil Haddad und Niznik sehr weit voneinander entfernt leben, nutzen sie generell diese Möglichkeit, sich (kostengünstig) zu verständigen. So auch für die Vorbereitungen zu ihrer ersten gemeinsamen Arbeit. Der "DM Room" ist also zunächst ein virtueller Raum. Es ist der Raum des Datenaustauschs. Der Raum, den die Protagonisten einer Unterhaltung kreieren und bespielen, indem sie sich unterhalten. Als Installation wird dieser Raum nun analog erfahrbar. Es ist zugleich hilfreich und verwirrend, sich diese Dopplung gegenwärtig zu halten, wenn man der Einladung der Künstler folgt, ihren Raum zu betreten.
Die Installation legt Zeugnis ab von den Gesprächen, die ihr vorausgingen, gleichzeitig will sie dazu animieren, sich in das Gespräch einzuklinken. Sinnfälliges Bild hierfür: die aus unzähligen benutzten Kaugummis an die Wand geklebten Sprech- bzw. Gedankenblasen. Dasselbe farbige Kaugummi wird vor der Tür wie Fingerfood angeboten: Help yourself and join us! Es geht dann jedoch nicht um konkrete Inhalte. Zwar lassen sich leicht Bezüge finden zwischen den verschiedenen (oder verschieden repräsentierten) Elementen, die den Raum definieren, etwa der blauen Badehose, die auf dem Boden liegt, zugleich auf dem großformatigen "digital painting" zu sehen ist und sich auch auf der Fotografie über der Tür wiederfindet. Verrsucht man aber, die einzelnen Elemente zu dechiffrieren, eine verbindende Erzählung auszumachen, wird man zurückgepfiffen. Der Sand zum Beispiel, der überall vorkommt - fragmentiert auf den Fotos am Boden, aber auch real im Raum und nicht zuletzt assoziativ (Strand!) auf dem großformatigen Bild - der Sand meint keinen bestimmten Ort, im Gegenteil: "Not at the beach, playground/park, not a sand dune, just a place with sand in the middle of nowhere", so steht es auf einer der am Boden mosaikartig ausgelegten Fotografien.
Gefragt ist also, bei aller Sinnlichkeit der Bilder und Objekte im Raum, eine intellektuelle Leistung, die von den Dingen "absieht". Unsicher, worauf die Bilder rekurrieren, sehen wir - die Bilder und dass sie aufeinander Bezug nehmen. Und plötzlich erscheint es ganz plausibel, dass Bilder (in der Kunst/im Gespräch) eben so entstehen: als Exzerpte, Vergrößerungen, Zooms, die Eigenständigkeit entwickeln und für sich stehen. Und es erscheint genauso plausibel, dass sie es sind, die übrig bleiben von Gesprächen und von den Erfahrungen, die den Gesprächen Futter geben: Exzerpte, Vergrößerungen, Zooms.
Das vor dem Raum ausliegende Kaugummi gehört allerdings zu den "left-overs", den Resten, die nicht in die Installation aufgenommen wurden - und die doch da sind.


 

Aktion 1

24./25. September 2016: Henrik Hold, "abstracthome"

Am Anfang ist ein Impuls, aus dem heraus macht Henrik Hold ein Foto, Fotos. Aus den Fotos werden Vorlagen für seine Malerei. Die Fotos sind als Bilder vielleicht interessant, aber sie zeigen noch nicht, was Hold wirklich interessiert. Dazu braucht es einen Prozess der Verdichtung, der Abstraktion, und den vollzieht er beim Malen.
Ein Kraftakt. Hold malt mit sehr nasser, wasserlöslicher Ölfarbe, die Leinwand oder die Platte liegt flach auf dem Tisch, sonst liefe die Farbe davon. Sie wird aufgetragen, teils wieder weggenommen, in einem einzigen, mehrere Stunden dauernden Arbeitsgang verdichtet sich nach und nach das Bild, entsteht wie aus einem Guss. Korrekturen, etwa am nächsten Tag, sind nicht vorgesehen. Seine Sujets findet Hold in seinem direkten Umfeld, zum Beispiel in seiner Wohnung (und hier gern in der Küche). Es geht um die Verhältnisse in diesen Räumen, wie stehen die Dinge zueinander, was macht das Licht, wie stehe ich (als Betrachter) vor diesen Räumen, diesen Verhältnissen. Und dann: Was heißt es, das zu malen? Wie platziere ich Farbflächen auf der Fläche der Leinwand? Wie viel Realismus in der Darstellung, wie viele Details braucht es, um die Illusion lebendig werden zu lassen und zugleich als solche kenntlich zu machen?
Mit den Strandkörben, die Hold im Sommer 2016 zum Gegenstand einer neuen Serie gemacht hat, ist er nach eigenem Bekunden auf ein Sujet gestoßen, anhand dessen er wie selbstverständlich seine Fragen an die Malerei stellen konnte. Sind doch die Strandkörbe sowohl Räume als auch Objekte (im Raum). Obwohl Hold sie aber durchgehend geschlossen (verschlossen) zeigt, ist es eigenartigerweise schwer, in ihnen nicht ein "Gegenüber" zu sehen - so haben wir es also mit Porträts und Gruppenbildern zu tun. Und was am Strand einfach verschiedene Modelle sind, wirft in der Übersetzung in Malerei auch noch einmal die Frage nach Fläche, Linie, Farbe auf. Und hier nun, so glaube ich, ereignet sich etwas: Wird der Strandkorb mit einer Platte verschlossen, bekommen wir es mit einer grauen Fläche zu tun, was dahinter (in dem Raum) liegen könnte, scheint irrelevant. Verschließt jedoch lediglich ein GItter den Raum, so scheint es plötzlich, als würden die Farben des dahinterliegenden Bezugsstoffes, bunte Farben, gleichsam weggesperrt. So bekommt die Farbe, bisher ein Element von vielen, aus denen sich das Bild konstituiert, eine dinghafte und eine symbolische Qualität. Der Strandkorb wird zum leeren Raum, in dem sich durchaus etwas befindet. Und die Malerei bewegt sich zwischen dem, was sich zeigt oder nicht zeigt und dem, was sich zeigen oder nicht zeigen lässt.


 

Aktion 1

18./19. Juni 2016: Max Santo, "Vormorgen"

Mit der Installation "Vormorgen" hat Max Santo einen Raum angelegt, der die Abmessungen des eigentlichen Ausstellungsraums nurmehr erahnen lässt. Der leichte Stoff, das warme, gleichbleibende Licht, dessen Quelle nicht recht auszumachen ist, und auch der etwas modrige Geruch schaffen eine anheimelnde Atmosphäre: Hier lässt es sich sein! "Vormorgen" funktioniert als der Zeit enthobene Zeitkapsel. Nicht von ungefähr: Zur Vorbereitung hat Santo den zu einer einzigen Bahn genähten Stoff im Garten von c/o schocke deponiert. Mehrere Monate lang war das Material der Witterung ausgesetzt, sämtliche Verfärbungen, Zeichnungen, Spuren und eben auch der Geruch sind in dieser Zeit entstanden. Am Ende hat Santo den Stoff getrocknet, gesichtet und schließlich "gehängt".
Im Raum befinden sich am Boden stehend sieben einfache Gläser, darin jeweils ein Salzkristall. Santo hat sie im Vorbereitungszeitraum in eben diesen Gläsern gezüchtet. Jetzt hängen die Kristalle allerdings im Trockenen (und künden in ihrer Unterschiedlichkeit von Individualität und Zufall). Der Verfallsprozess des Stoffes genauso wie der Wachstumsprozess der Kristalle sind stillgestellt, eben deshalb erscheint die Zeitkapsel als die immer Gleiche. Die Zeit jedoch, die wir darin verbringen, die Gefühle, die evoziert werden, die Stimmungen, die wir hereintragen, sind je unterschiedlich. So erleben wir die "Zeit" immer anders.
Im Wohnzimmer zwei ebenfalls "zeitbezogene" Arbeiten. Eine mittelgroße Tuschezeichnung ohne Titel, entstanden als bloßes, durchaus mühsames und langwieriges Tun, der Radius der sich bewegenden Hand gab das Muster vor. Und die Arbeit "September, Balkon", eine Collage, bestehend aus den Papieren von gerauchten Zigaretten - geraucht vom Künstler während eines Septembers auf seinem Balkon - montiert zu einer überraschend schönen Sonne oder Baumscheibe (dIe Sonne eine Scheibe).


 

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12./13. März 2016: Lukas Schneider, Malereiobjekte

Keilrahmen, Leinwand, Farbe - das sind immer wieder die Ausgangsmaterialien von Malerei. Dann wird der Stoff zumeist rechtwinklig gespannt, so lässt es sich arbeiten, und so mögen wir schauen - aufs Tafelbild. Lukas Schneider hat vor Kurzem für seine Malerei die Bedingungen geändert. Er lässt den Keilrahmen weg und spannt, wickelt, tackert den groben Stoff, den er als Malgrund nutzt, um gefundene Hölzer herum, Teile von Möbeln, Sprossen einer Leiter etwa. Es entstehen Objekte, die ihre Machart und ihre Herkunft nicht leugnen, aber auch nicht damit angeben. Sie sagen nicht z.B.: Sieh her, ich war zwei Stuhlbeine ("Grazie"). Aber der elegante Schwung der Form gibt auch die Rückseite preis, und da ist es dann, das Material. Alles scheint eine Einladung, näher heranzutreten, zu untersuchen, die Risse, die grob getackerten Verbindungen. Wenn das die Rückseite von Malerei ist, was mache ich mit dieser Information beim Betrachten der Vorderseite? An anderer Stelle dreht der Malgrund wie von selbst die Rückseite dem Betrachter zu, schau, die weiße Grundierung, der lose ausfransende Stoff. Vorder- und Rückseite sind nicht mehr klar voneinander geschieden, das Material als Material unterstützt den Objektcharakter der Arbeiten. Aber noch hängen sie an der Wand.
In der Malerei werden immer wieder die Bedingungen und Grenzen der Malerei untersucht. Dazu zählt etwa auch, die äußere Form des Malgrunds zu verändern, Stichwort "shaped canvas". Was passiert, wenn ich das Objekthafte des Bildes betone?
Lukas Schneiders neue Arbeiten sind tatsächlich Hybride, entsprechend nennt er sie Malereiobjekte. Als Mischwesen verweisen sie auf die Malerei und auf die Bildhauerei, feiern aber ihre Eigenständigkeit. Und spätestens durch ihre Titel haben sie erzählerische Kraft. Sie sprechen von gebrochener Schönheit ("Grazie"), von Zeitgenossenschaft ("Stiller Beobachter") und von der Poesie des Fremden ("In einem fernen Land").


 

Aktion 1

23./24. Januar 2016: Sven Schumacher, "Zur Brücke"

Durchs Wendland führte einmal eine Bahnlinie zur Elbe, von Dannenberg zur Dömitzer Brücke (und weiter nach Wittenberge und weiter nach Berlin). In die andere Richtung ging (und geht) es von Dannenberg über Lüneburg nach Bremerhaven an die Nordsee. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut, war die Strecke wirtschaftlich kein Erfolg. Strategisch wurde sie im Zweiten Weltkrieg noch einmal relevant, 1945 zerstörten die Alliierten die Brücke. Die Elbe wurde an dieser Stelle zur innerdeutschen Grenze, die Gleise zwischen Dannenberg und dem Fluss in den 70er-Jahren demontiert.
Der ehemaligen Strecke durchs Gestrüpp bis zur ehemaligen Brücke zu folgen, ist mühsam. Sven Schumacher hat sich immer wieder auf den Weg gemacht, zunächst, um zu fotografieren, dann auch mit einer Videokamera. Der entstandene Film, einmal zur Brücke und zurück, dauert acht Stunden. Anfang Mai, frisches Grün überall, manchmal ein leichter Wind, Vögel zwitschern. Und stetig der Schritt. Das Bild wackelt, der Blick sucht, es gibt nicht viel zu entdecken - und vielleicht doch alles. Kann ein Weg, der keiner mehr ist, noch irgendwohin führen? Und wenn das Ziel des Weges, der keiner mehr ist, eine Brücke ist, und die Brücke ist aber zerstört, wo führt der Weg dann hin? Ist eine Brücke, die nichts mehr überbrückt, dennoch eine Brücke? Oder ist einfach da, wo ich gehe, ein Weg, egal ob mir jemand folgt oder vorangegangen ist (I did it my way)?
Auf den Fotografien (aufgenommen im MIttelformat und größtenteils in Schwarz-Weiß - um gegen all das Grün anzukommen, so Schumacher) lässt sich betrachten, was das bewegte Bild streift: der Bahndamm, der sich allmählich aus der Landschaft erhebt, die Bäume, die sich im Wuchs der ehemaligen Strecke angepasst haben, das Unterholz, das das Weiterkommen erschwert. Die Brücke nicht.


 

Aktion 1

14./15. November 2015: Christian F. Kintz

Der Maler Christian F. Kintz hat den nur neun Quadratmeter großen Ausstellungsraum bei c/o schocke zu einem begehbaren Bild gestaltet. Leinwände werden zu Charakteren, genauso die kreisrunden Hinterglasmalereien: Wer schaut hier wen an? (Aber darf man konkrete Malerei überhaupt in dieser Weise beschreiben?)
Kintz arbeitet mit drei verschiedenen Leinwandformaten, jeweils ziemlich satte Rechtecke im Verhältnis 7 zu 8, also kurz vorm Quadrat. Mit einer Art Rakel streicht er die gern farbstarke Ölfarbe gleichmäßig auf die Fläche, über die Ränder hinweg. Lässt sie durchtrocknen, gibt in derselben Weise, deckend, eine neue Farbe darauf. Mindestens vier Schichten braucht es, um eine bestimmte Dichtigkeit der Oberfläche zu erreichen, der Trockenvorgang ist langwierig, entsprechend zieht sich der Herstellungsprozess eines solchen Bildes über Wochen, Monate. An den Rändern lässt sich dieser Prozess nachvollziehen, die Zeit.
Für eine andere Werkgruppe benutzt Kintz - Zufall? - Uhrengläser, bemalt sie in Hinterglastechnik mit Acrylfarbe. Die Ränder sind hier metallisch-gold glänzende Einfassungen, sie fassen, heben, halten die Farbe. Der Prozess, der den Leinwänden anzusehen ist (wie man auch unserer Gesichtshaut manches ansieht), hier wird er konserviert, angehalten zu einer Momentaufnahme. Was heißt es, ein Bild malen?
Drittens stellt Kintz Wandarbeiten her. Dafür überträgt er im Raum gegebene Lichtsituationen in Farbflächen. Bei c/o schocke hat er Licht gesetzt, um die Architektur einer Wand, der Fensterwand, gleichsam weiterzudenken - oder allererst sichtbar zu machen. Ausgehend von dieser Wandarbeit wurde sodann der Raum bespielt. Was heißt es, ein Bild an die Wand hängen?
Kintz arbeitet installativ. Er bringt Material mit, probiert, verwirft, setzt. So entsteht schließlich eine Situation, in der die einzelnen, in einem konzeptionellen Rahmen entstandenen Arbeiten zwar noch als solche Bestand haben, zugleich aber aufgehen in einem neuen Zusammenhang. Und weil er Maler ist, erscheint die Installation, die wir vorfinden, als in den Raum, ins Dreidimensionale geklapptes Bild. Darin bewegen wir uns. Das ist erstaunlich und beglückend.


 

Aktion 1

26./27. September 2015: Javier Gastelum, "The Functional City"

Als im Jahr 1933 der vierte Internationale Architektur-Kongress CIAM stattfand, war Athen offizieller Austragungsort. Diskutiert, vorgetragen, nachgedacht wurde aber schon auf dem Weg dorthin - man schiffte sich in Marseille ein und fuhr vier Tage lang über das Meer. Thema des Kongresses: Die funktionale Stadt. Im Vorwege hatte man die strukturellen Probleme von über 30 Städten exemplarisch untersucht. Der Anspruch war, Lösungen für diese Probleme zu formulieren. 1943 veröffentlichte Le Corbusier, einer der Initiatoren des Kongresses, die "Charta von Athen", eine Art Manifest des modernen Städtebaus, das nach dem Zweiten Weltkrieg - nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der zerstörten Städte - bedeutsam wurde. Kerngedanke ist, die Stadt als funktionale Einheit zu begreifen und diese Funktionalität zu unterstützen, indem spezifische Bereiche voneinander getrennt werden: Wohnen, Arbeit, Verwaltung, Freizeit... Wo vor dem Krieg chaotische und für die Bewohner nicht zuträgliche Verhältnisse herrschten, sollte stattdessen ein irgendwie luftiges Gebilde entstehen, lichte Wohnungen, fließender effektiver Verkehr etc. Javier Gastelum ist mit der "Charta" letztes Jahr in Athen gewesen. Und eine erste Diagnose mit Blick auf seine Arbeit (von der hier nur ein Ausschnitt zu sehen ist) muss wohl lauten, dass man eben dort nicht vorfindet, was die "Charta" verheißt. Seine Fotografien zeigen nicht attraktive Hochhäuser, umgeben von Grünflächen, keine offenen Räume. Stattdessen Nahansichten. Chaotische Strukturen, mehr oder weniger gelungene Moderne-Zitate usw. Es entsteht eine Kluft - ein Freiraum - zwischen dem hohen Ton, mit dem Le Corbusier die damalige Reise beschreibt (ein Textauszug ist Teil der Installation), und den Bildern, die Gastelum uns anbietet von Athen - oder von Stadt. Die Bilder illustrieren nicht die "Charta", eher veranlassen sie den Betrachter durch ihre Genauigkeit in scheints nebensächlichen Details, tatsächlich hinzusehen. Gastelum zeigt sie sowohl als großformatige Einzelbilder als auch in aus mehreren Bildern bestehenden Tableaus. Eben solche Tableaus dienten damals, auf dem Kongress, auf dem Schiff, als Anschauungsmaterial. Wir sind wieder auf See.


 

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25./26. Juli 2015: Almut Hilf, "Denken im Bestand"

Wenn Architekten "im Bestand" bauen, geht es um Renovierung, Sanierung etwa eines gegebenen Gebäudes, aber auch um Modernisierung, Umbau, Veränderung. Das Bestehende wird zwar angetastet, aber nicht zugunsten von etwas Neuem zerstört. Es findet eine Auseinandersetzung statt.
Almut Hilf setzt sich mit architektonischen Räumen auseinander. Wie bewegen wir uns durch diese Räume? Wie nehmen wir sie war? Als Fotokünstlerin sucht sie nach Möglichkeiten, Bewegung und Raumwahrnehmung in Einzelbildern zu thematisieren. So hat sie z.B. Schwarz-Weiß-Fotografien mit Innenansichten einer Ferienwohnung zu Collagen weiterverarbeitet, die, im Buch aufeinanderfolgend, eine stetig sich verändernde Raumansicht wiedergeben. Für "Denken im Bestand" hat sie dieses Prinzip der Collage ins großformatige Tableau übertragen.
Was auf den ersten Blick wie ein merkwürdig verschobenes Mosaik erscheinen mag, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein verwirrendes Raumkonstrukt. Mit den Mitteln der Wiederholung, Verkehrung, Überlappung hat Hilf Raumansichten geschaffen, die eine endgültige Orientierung unmöglich machen. Begeben wir uns als Betrachter in diese Räume, werden wir leicht zum Spielball der Verhältnisse. In der Draufsicht hingegen werden wir zum Konstrukteur: Wir können die Entstehung rekonstruieren - Hilf hat vier Fotografien über Kopiervorgänge verfielfältigt, die Kopien beschnitten und zu einem Tableau collagiert, von dem sie wiederum eine großformatige Fotografie angefertig hat, die fertige Arbeit; wir können uns vom Materialcharakter faszinieren lassen; und schließlich können wir eigene Wege durchs Labyrinth versuchen. Das also ergebnisoffene Zusammenspiel von Bestehendem und unserer Eigenleistung veranschaulicht ein aus (teils bezogenem) Karton geschnittenes Objekt an der gegenüberliegenden Wand. Je nach Position und Blick des Betrachters verändert sich der "Raum", den diese Arbeit gleichsam simuliert.


 

Aktion 1

30./31. Mai 2015: Giesemann & Geffken, "PROPS"

Die Arbeit "PROPS" ist eine Serie von 50 Fotografien, die in kommerziellen Requisitenlagern in Berlin und Hamburg aufgenommen wurden. Die Bilder sind als Slideshow zu einem Loop montiert und mit elektronischer Musik unterlegt.
Das englische "props" bedeutet Requisite, Ausstattung. Längst als eigenständiger Begriff geläufig, ist es eigentlich die Kurzform von "property", also: Besitz. "Props" bezeichnet alle beweglichen Dinge auf der Bühne oder am Filmset; vom Darsteller "in Besitz genommen", definieren sie allererst seine Figur und die Räume, durch die sie sich bewegt. So verleihen "props" Identität. Im Lager bereitgehalten, unbewegt, verweisen die Dinge jedoch lediglich auf mögliche Räume, mögliche Charaktere, mögliche Identitäten - und die schnell aufeinander folgenden Bilder der Serie evozieren ein gewisses Unbehagen, einen Eindruck von Abwesenheit. Das Lager wird zum Zwischenreich, ein Unort - Realität findet hier nicht statt. Entsprechend unterscheiden die Bilder nicht konkrete Orte, wir wissen nicht und es ist unerheblich, ob wir uns in Berlin oder Hamburg, in diesem oder jenem Fundus befinden. So nüchtern die Bilder zu dokumentieren vorgeben, sie sind keine Dokumente.
Ein Verweisungszusammenhang, in den Giesemann und Geffken ihre Arbeit bewusst stellen: "PROPS" ist auch eine Referenz an den US-amerikanischen Künstler Seth Price. Dessen Videoarbeit "Feeling in the Eyes" zeigt eine schnelle Abfolge von Katalogabbildungen, Interieurs, komplett eigerichtete Räume, verschiedenste Stile und Epochen, gelegentlich ein "Bewohner", dazu elektronische Musik. Auch Seth Price' Arbeit erzeugt ein Unwohlsein. Man möchte sich nach dem Betrachten z.B. auf keinen Fall irgendwie einrichten, nicht in einer Wohnung, aber auch nicht in der Realität. Jener Realität, die in "PROPS" ohnehin abwesend ist. Wir werden also, wie oftmals in der Kunst, wenn es gut läuft, auf uns selbst zurückgeworfen - was auch immer das bedeutet.


 

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21./22. März 2015: Judith Düsberg, "With Love"

Judith Düsberg hat eine Zeit lang Blumen geschenkt bekommen, von ihrer Lebensgefährtin. Der wiederholte Akt des Schenkens, das Ereignis des Beschenktwerdens führte zu einer Reihe von Bildern, unverhofft entstand eine Serie. Wir sehen überreife Sträuße, teils schon verwelkt, das Licht und die Farben warm und anziehend. Die Beziehung ist inzwischen zu Ende - was macht das mit den Bildern? Düsberg zeigt sie als Teil einer Rauminstallation: "With Love". Auf dem Boden ein alter Leuchttisch, darauf eine Vase mit Blumen: Anschauungsmaterial. Zugleich bündelt (und bindet) das leuchtende Ding die Atmosphäre des Raums, wie der Herd in einer Küche. An der Wand gegenüber den Blumenbildern eine Collage aus verschiedenen (Bild-)Materialien, Düsbergs Fundus entnommen. Abbildungen aus Zeitungen, eine geheimnisvolle Fotografie, eine etwas ungelenke Zeichnung, Selbstporträts... Die Collage hat den Charakter einer Skizze, Momentaufnahme eines (Denk-)Prozesses. Ihr Gegenstand? Die Künstlerin selbst, ihr Körper, der weibliche Körper, das Begehren. Wie geht das mit der Liebe? Wie bringe ich dich und mich und mein Begehren zusammen? Wie gebe ich Gefühlen eine Form?
 

 

Aktion 1

17./18. Januar 2015: Marcia Breuer, "Hello./picturesque village in the European Alps e.g."

Kunst machen bedeutet immer, Umgang mit den Dingen pflegen. Zumal in der Fotografie erfordert es die Entscheidung: vorfinden oder eingreifen, inszenieren, herstellen? Marcia Breuer, so scheint es, inszeniert in ihrer Serie "Hello." Vorgefundenes. Sie arrangiert Alltagsgegenstände in einer privaten Wohnung zu spielerischen, merkwürdigen, vielleicht sogar abgründigen Situationen. Die im analogen Mittelformat aufgenommenen Bilder dokumentieren das. Mitunter zeugen diese Dokumente aber auch von einem Blick, der es denkbar scheinen lässt, dass diese Situationen da waren, etwa so: Ich betrete mein Wohnzimmer, und der Tisch verbindet als "Viadukt" Sofa und Sessel. Mein Blick fällt durch die Tür ins Bad, und im Waschbecken ergießt sich ein "Wasserfall". Die Titel der einzelnen Arbeiten verweisen in die Landschaft ("snow-covered mountain") und darüber hinaus ("Galaxie I"). Durch sie erhält die momentane Neuordnung der Dinge, wie sie das jeweilige Bild zeigt, eine konkrete, und dennoch assoziative Bedeutungsebene. Die Räume, durch die wir uns als Betrachter bewegen, sind offener, als zunächst vermutet. Also öffnet Breuer auch in der Ausstellung den Raum, wenn sie die Fotografie "Territories" auf einen übergroßen Bogen printet und den so an die Wand bringt, dass er, ganz Material, auf den Boden gleitet. Und mit dem Objekt "picturesque village", eine Glocke auf einem Sockel, holt sie das auf den Fotos gezeigte Spiel exemplarisch und ganz real in die Ausstellung: "e.g.".
 

 

Aktion 1

8./9. November 2014: Pio Rahner, "Logistik"

"Logistik" ist eine mehrteilige Arbeit, die Rahner erstmals im Oktober 2014 in der Folkwang Galerie in Essen zeigte, und die nun bei c/o schocke - angepasst an die dortigen Raumverhältnisse - präsentiert wurde. Ähnlich wie es bei der Logistik um die Bereitstellung von Material bzw. um den Materialfluss geht, steht die Unterschiedlichkeit der Materialien im Fokus: Tausende goldfarbene Metallstifte, ein Haufen verschiedenfarbiger Kunststoffbänder, ein Teppich aus braunen und cremefarbenen Holzkugeln. Dieses Material gilt es, in eine Form zu bringen. Ist die Form eigenständig - "kräftig genug", wie Rahner sagt - verliert der Titel, der Begriff, von dem die Arbeit ihren Ausgang nahm, an Bedeutung. Die Skulptur, die Fotografie, das Objekt illustrieren nicht, verweisen nicht, oder wenigstens schenkt der Künstler möglichen inhaltlichen Bezügen kein ausgesprochenes Interesse. Unbedingt von Interesse ist der Prozess, der aus Material Kunst werden lässt. Von Interesse ist das Objekt im Raum. Das Verhältnis von Betrachter, Objekt und Raum. Dabei lassen Rahners Arbeiten einen nicht kalt, sie berühren dank ihrer Präzision bzw. dem Spiel damit, dank ihrem Witz, ihrer Ernsthaftigkeit.
 

 

Aktion 1

20./21. September 2014: Jost Schocke, "Listen"

Die Serie "Listen" besteht aus 17 Bildern, die in einer festgelegten Reihenfolge zu einer Slideshow gefügt wurden (Dauer: ca. 3 min.). Sie ist innerhalb weniger Tage während eines Workshops in Arles, Frankreich entstanden. Protagonisten sind Mitstreiter aus dem Workshop, der Ort, die Landschaft... Für die Bilder, auf denen ich selbst zu sehen bin, habe ich manchmal einem Dritten meine Kamera gegeben, um tatsächlich Akteur sein zu können. (Ein durchaus befreiender Vorgang: Man gibt Kontrolle ab, aber nicht ganz, weil es immer noch die eigene Kamera ist, die die Bilder macht.) Das Labor, das vor Ort die Filme entwickelt hat, hat die Negative größtenteils ruiniert. So sind auf vielen Bildern merkwürdige Flecken zu sehen, Pigmentstörungen ähnlich. Natürlich ärgerte ich mich zunächst darüber, aber dann erschienen mir die Fehler genau richtig.
Bei c/o schocke wurde "Listen" in der halbwegs leer geräumten Küche projiziert. Parallel waren im eigentlichen Ausstellungsraum Schwarz-Weiß-Bilder vor allem aus dem "Blauen Buch" zu sehen. Das "Blaue Buch" enthält 37 Bilder aus den Jahren 2010/11 - Porträts, Landschaften im weitesten Sinne - die nicht zuletzt eine Art Selbstverortung darstellen. Darin sind sie den neueren Bildern verwandt.

Jost Schocke, Hamburg, im September 2014